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Die Strahlen der Hoffnung 

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Die Strahlen der Hoffnung - Part 1.jpg

„Kann es sein ? Ist sie das ?“, hauchte es erschöpft durch die trockene Kehle der Plastikdoll, als sie mit einem letzten Schritt die Sicht auf das Land hinter dem Hügel frei legte. Mit ihren müden Augen erspähte sie im rötlichen Schimmer der untergehenden Sonne ein Gebäude, das nicht weniger deplatziert wirken konnte in Mitten der trostlosen Weiten der Tundra, die sie die letzten Wochen so sehr hassen gelernt hatte. „Siehst du etwas?“ Kairos holte mit einem weiteren großen Schritt zur Einhorndame auf und musterte ungläubig das vor ihm liegende Land. Doch tatsächlich. Das musste die Oase sein, von der in Nalars Aufzeichnungen berichtet wurde. Wie verzweifelt hatte sich Nahita an diesen einen Hinweis geklammert. Diese Nadel im Heuhaufen an Aufzeichnungen, Notizen und kaum mehr lesbaren Schriftrollen. Monate hatte es gedauert um überhaupt erst einmal die Schriften der Lederdolls lesen zu lernen, weitere Monate alle gelagerten Schriften zu studieren und gerade als die Plastikdoll kurz davor war die schier aussichtslose Suche aufzugeben, entdeckte sie diesen einen Hinweis. Handgeschrieben von Nalar selbst. Eine Oase in Mitten der Weiten der wilden Tundra, Nalars letztem bekannten Aufenthaltsort, bevor dieser Xidercis wieder verlassen haben soll. An diesem Ort hingen nun nicht nur Nahitas Hoffnungen, sondern sehr wahrscheinlich auch das Fortbestehen von Docordis, wie es allen Dolls einst bekannt war. Dieses wunderschöne, völlig deplatziert wirkende Gebäude mit all den saftig grünen Pflanzen und dem angrenzenden See, auf dessen Oberfläche sich die Umrisse der umliegenden Bäume spiegelten.

„Das muss es einfach sein.“ Ein zaghaftes Lächeln umspielte ihre Lippen und mit einer schwermütigen Armbewegung deutete sie der Gruppe Lederdolls direkt hinter sich, ein letztes mal für heute alle Kräfte zu sammeln. Tatsächlich waren die Krieger der Eskortgruppe, die Freya mit ihnen entsandt hatte weit weniger beeindruckt von der langen Reise. Sie waren das Klima und die raue Tundra mit all ihren Gefahren gewohnt und doch hatten der lange Marsch und die unausweichlichen Kämpfe mit den ansässigen Monstern, ihre Spuren hinterlassen. Der Anführer der Truppe nickte seinen Leuten motivierend zu, löste den festen Griff um seine Waffe jedoch nicht für eine Sekunde.

Die letzten Meter waren im Verhältnis zur restlichen Reise schnell getan und so passierte die Gruppe die leicht eingefallenen Mauern nur wenige Minuten später und fand sich vor dem pyramidenartigen Gebäude mit den eleganten Verzierungen und verspielten Elementen, wieder. Doch die Oase schien verlassen.

„Bleibt wachsam Krieger.“, mahnte der Anführer und deutete Nahita und Kairos lieber hinter ihnen zu bleiben. Schließlich wusste niemand was genau sie an diesem viel zu idyllisch wirkenden Ort zu erwarten hatten. Achtsam schritten sie die steinernen Treppen hinauf zu dem Tempelartigen Gebilde, dessen Tore augenscheinlich bereits in die Jahre gekommen waren. Einige Pflanzen hatten sich ihren Lebensraum bereits zurück erkämpft, indem sie sich durch die Spalten des Sandstein farbenden Mauerwerks gegraben und um die fein ausgearbeiteten Verzierungen geschlängelt hatten.

Vorsichtig schritt der Lederdoll durch das offene Tor, den Speer fest in der Hand, gefolgt von seinen Brüdern und Schwestern des Freomýr Clans. Eine der Dolls sprach leise Worte der hiesigen Sprache und ließ kleine lodernde Flammen in der Luft erscheinen, die den Tempeleingang sofort in ein sanftes, warmes Licht hüllten. Dicker Staub lag auf den alten Möbeln und die hinein gewachsenen Pflanzen waren das einzige innerhalb der hohen Wände, die den Steinwänden einen Hauch von Leben verliehen. „Chary, du bleibst mit ihnen hier. Wir sichern die restlichen Räume.“ Die Lederdoll nickte und blieb bei Nahita und Kairos stehen, die zwar erschöpft, doch neugierig den Eingang des Tempels musterten. Die Einhorndame streifte die schwere Reisetasche von sich ab und strich sanft über eine der Verzierungen an der steinernen Wand, während sich ihr Spiritbegleiter auf den Boden sinken ließ und dazu entschied lieber alles im Sitzen mit den Augen zu erkunden. „Was für ein außergewöhnliches Dekor...“ Ihre Finger glitten noch immer über die detailliert bearbeitete Bordüre, während ihre Augen die restliche Halle musterten und etwas in ihr gab ihr das Gefühl, endlich einen Schritt vorwärts gekommen zu sein. Ob er tatsächlich hier gewesen war? Der kleine Metalldoll mit dem großen Umhang und den weißen Haaren. Vor ihrem inneren Auge sah Nahita für einen kurzen Moment ein transparentes Abbild seiner selbst an ihr vorbei schlendern in Richtung Tempelmitte, als der Anführer der Eskorttruppe an Nalars Stelle im großen Torbogen erschien.

„Es ist alles Sicher.“, hallte die tiefe Stimme des Gruppenanführers durch die verlassene Halle. „Wir werden am See unsere Vorräte auffüllen und ein Feuer machen. Ich habe bereits Dolls für die Wache bestimmt. Für heute sollten wir hier drinnen sicher sein. Ich lasse euch zum Abendessen rufen.“ „Vielen Dank Remus.“, entgegnete die Plastikdoll dankbar und machte sich dazu auf die anderen Räume des Tempels zu erkunden. Eigentlich konnte sie sich kaum noch auf ihren müden Gelenken halten, doch hinsetzen und ausruhen waren keine Alternativen. Nicht jetzt wo sie der einzigen Möglichkeit auf eine Antwort so nah zu sein schien. Die kleinen Flammen der Feuermagierin erleuchteten den Flur und die angrenzenden Räume, indem sie drei Meter unter der Decke schwebten. Sie boten genug Licht um sich zumindest einen ersten Eindruck zu verschaffen, doch welchen Raum sollte Nahita als erstes erkunden?

Während sie langsam den langen Flur entlang schritt, konnte sie durch vier riesige, verzierte Torbögen in verschiedene Räume hinein sehen. Der erste auf der linken Seite deutete eine Küchenzeile aus Holz an. Auf ihr standen verschiedene Schüsseln und Kannen aus Ton, mit floralen Verzierungen. Einen Raum weiter entdeckte sie einen großen, sehr tief gelegenen Tisch mit alten staubigen Kissen auf dem Boden. Einige Vasen und Regale, sowie verschiedene Dekorationen füllten den Raum, an dessen Ende die letzten Sonnenstrahlen durch ein großes Fenster hinein zu scheinen schienen. Genau gegenüber auf der rechten Seite befand sich anscheinend so etwas wie ein Schlafgemach. Vom Flur aus konnte man eine Vielzahl ebenfalls recht niedrig gelegener Futonbetten entdecken, deren Matratzen wohl schon lange niemanden mehr getragen hatten. Im letzten der vier Räume entdeckte Nahita schließlich einen Schreibtisch und diverse Regale und Schränke, die mit diversen Schriftrollen bestückt waren. Ihre Füße trugen sie fast wie von selbst in diesen vierten Raum hinein. In der Mitte befand sich ein kleiner Tisch , der mit einem brüchigen Teeservice gedeckt gewesen zu sein schien und die Meter hohen Wände boten Platz für Bücherregale, die gut 5 mal so groß waren wie die kleine Plastikdoll selbst. Weiter hinten erspähte sie etwas bequemer wirkende Sessel, die vor einem riesigen Kamin drapiert waren, als würden sie zum Lesen einladen wollen.

In allen Räumen vermischten sich die kalten Steinwände mit detallierten Holzverzierungen oder floralen Ornamenten, sowie den hinein gewachsenen Pflanzen der Oase. Doch erst beim zweiten Rundgang bemerkte die Einhorndame wie unfassbar offen und groß ein jeder der Räume tatsächlich wirkte und dass es schien, als sei der Tempel fluchtartig verlassen worden von den Dolls, die sich einst hier nieder gelassen hatten. Es sah aus, als sei die Zeit einfach eingefroren an dem Tag, an dem die letzten Dollfüße über den steinernen Boden schritten. Was war hier passiert ? Und war Nalar tatsächlich hier gewesen ?

Nahita berührte vorsichtig den Splitter an ihrem Gem und ein eigenartiges Gefühl breitete sich in ihrem Brustkorb aus. Sie war endlich am richtigen Ort. Sie musste es einfach sein.

Eine sanfte Berührung auf ihrer Schulter, riss sie aus ihren innigen Gedanken blitzartig heraus und ließ die kleine Doll kurz zusammen zucken. „Abendessen ist fertig. Nun komm, gönn dir auch mal ein paar Minuten Ruhe. Die alte Ruine wird schon nicht weg laufen.“ Mit sanftem Lächeln wendete sie sich dem Spiritdoll zu und nickte erschöpft. „Ja, lass uns Essen gehen“.

Das wärmende Lagerfeuer brachte allmählich das Gefühl zurück in die Gelenke der kleinen Plastik Doll und damit auch den Schmerz, der sich in jede Faser ihres Körpers gedrungen hatte auf dem langen Marsch. Die Dolls des Lederstammes hingegen jauchzten, lachten und tranken als wäre es nur ein kleiner Spaziergang gewesen. Mit einem erschöpften Seufzen senkte sie den Kopf, um sich wieder ihrer gegrillten Dramanja-Frucht zu widmen. Eine Frucht mit einer äußert harten Schale, die sie besonders lange haltbar machte gegen die Einflüsse der Witterung. Nicht superlecker, aber haltbar.

Und während sie so auf dem doch etwas zähen, aber herzhaften Fluchtfleisch herum kaute, blieb ihr Blick, auf dem offensichtlich mindestens genauso erschöpften Kairos hängen.

::Und sowas will ein Gott sein::, dachte sie schmunzelnd. Der Spirit Doll bemerkte den leicht süffisanten Blick und hob skeptisch eine Braue. „Habe ich etwa was im Gesicht?“ Prophylaktisch strich er sich mit der rechten Hand über die Wangen. Anschließend hatte er tatsächlich Dreck auf seiner kühlen braunen Haut, was Nahita tatsächlich kurz auf glucksen ließ. „Vielleicht.“, gab sie nur frech zurück und sah nach vorne in die tanzenden Flammen. Kairos rieb noch ein paar Mal energisch über sein Gesicht, ehe er mitsamt aufgespießter Frucht ein Stück weiter hinüber zu der Einhorn Dame rückte. „Du bist ganz schön anmaßend für eine einfache Plastik Doll, weißt du das?“ Doch der Versuch eines annähernd gemeinen Konters fand bei ihr keine Beachtung.„Kairos…was, wenn das hier ein Griff ins Leere ist? Nur eine Illusion, eine Fata Morgana, die uns genauso unwissend zurücklässt, wie wir es von Anfang an waren?

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Wie lange wird Docordis noch existieren, wenn wir den Baum nicht retten können?“ Ihr Blick verharrte starr auf den sich im Abendwind wiegenden Flammen, fast als könnten sie des Rätsels Lösung sein. Als bargen sie die Antwort auf all ihre Fragen, wenn sie nur lange genug hineinsah. Und ihre Sorge war mehr als berechtigt. Immer wieder erreichten sie in den letzten Monaten Nachrichten aus Docordis, die im Auftrag von Elayne über das Portal nach Freomýr weitergeleitet wurden, in denen ihre schlimmsten Befürchtungen sich bewahrheiteten. Flüsse trockneten aus, Pflanzen verwelkten, Erdbeben häuften sich und die Steindolls verloren aus irgendeinem Grund mehr und mehr an Kraft. Einige berichteten sogar davon ihre magischen Fähigkeiten gar nicht mehr einsetzen zu können. Mit jedem Gedanken mehr an all die schrecklichen Dinge, die in ihrer Heimat vor sich gingen, verfinsterte sich Nahitas Blick.

„Wir sind aus einem bestimmten Grund hier. Genau jetzt zu dieser Zeit.“, drängten sich die aufmunternden Worte Kairos zwischen ihre immer lauter werdenden Gedanken. „Na wenn der erschöpfte Gott der Zeit mir das sagt, dann sollte ich das wohl glauben.“ Das sanfte Lächeln hing schwermütig auf ihren Mundwinkeln. Mit einem lauten Schlucken rutschte der letzte Rest Dramanja mühsam ihren trockenen Hals hinunter, gefolgt von etwas aufbereitetem Regenwasser. „So genug rumgesessen. Ich werde mal einen genaueren Blick auf den Raum mit den vielen Schriften werfen.“ Noch ehe Kairos irgendetwas erwidern konnte, war sie auch schon an ihm vorbeigezogen. Er hatte sich auf dieser langen Reise immer wieder die Frage gestellt, woher diese kleine, zierliche Doll nur all die Energie nahm. „Tja Bruder, deine Wahl war definitiv nicht unbegründet. Sie ist wahrlich etwas Besonderes.“, sprach er leise zu sich selbst während seine Augen den Sternen losen Himmel entlang glitten.

„Wenn ich Nalar wäre, wo würde ich einen Hinweis auf die Rettung der Welt verstecken?“ Der sarkastische Unterton in Nahitas Worten untermalte ihre aufgesetzte Motivation. Es war nicht so, dass sie nicht immer noch fest entschlossen war den Lebensbaum zu retten, doch nach all den Rückschlägen mangelte es selbst ihr mittlerweile an Optimismus. Sicher, sie hatte die Oase gefunden von der in den Aufzeichnungen geschrieben wurde, doch angesichts der Meter hohen Regale voller Schriftrollen, Bücher und loser Blätter, würde sie wohl noch ein Jahr hier verbringen, ehe sie überhaupt etwas fand.

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Ein Jahr, das Docordis vermutlich nicht mehr hatte.

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Mit einem vorerst letzten Seufzen an diesem Abend, stieß sie die aufkommenden negativen Gedanken für einen Moment aus. Sie entledigte sich ihrer Handschuhe, sowie dem schweren Mantel und musterte den großen Raum genaustens. Ihre Augen wanderten über die vielen Regale. Auf den ersten Blick war nichts Auffälliges zu erkennen. „Du wärst ja vermutlich nicht einmal an die 5. Regalreihe gekommen.“, spottete die Einhorn Doll mit einem zaghaften Grinsen, als sie sich die durchlässige Silhouette Nalars vor den hohen Schränken herbei dachte. „Nein, ich denke die oberen Reihen können wir erst einmal außen vorlassen. Auch die bequeme Sofa Ecke vor dem großen Kamin schien nicht der Ort zu sein, an dem er sich niedergelassen hätte. Stattdessen-

Nahitas Augen blieben auf einem der Schreibtische hängen. Der Unterschied war nur minimal, aber an einem der Tische stand ein etwas höherer Hocker angelehnt. Sicher nur Zufall…und doch zogen ihre Füße sie schon fast magnetisch an eben jenen Platz. Aufmerksam musterte sie jedes einzelne Detail. Eine Schreibpinsel, ein umgeworfenes Tintenfass, ein – ein Wollknäul ?!

Es wirkte so deplatziert inmitten all der Schriften und Schreibutensilien. Nachdem sie vorsichtig einige der vergilbten Pergamente bei Seite geschoben hatte, entdeckte sie eines, in das oben in der Ecke ein kleines Blumen Muster mit Faden hinein gestickt wurden war. „Kann das sein?“ Sanft strichen die Plastikfinger über den blauen Faden. „Fionell?“ Die Augen der Einhorn Doll benetzten sich mit Tränen. Die kleine Nadel hatte Nalar an manchen Tagen mit ihren kleinen Stickereien auf seinen Aufzeichnungen in den Wahnsinn getrieben. Wehmütig lächelnd, wischte Nahita die Tränen von ihrer Wange, bevor sie das Pergament behutsam nach oben hob, um es genauer zu begutachten. Doch eines war schon jetzt klar und je mehr sich der Gedanke festigte, desto aufrichtiger wurde das Lächeln auf ihren Lippen:

Sie waren hier !

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Doch die Aufzeichnungen auf eben jenem bestickten Stück Pergament waren weitaus konfuser als aufschlussreich. Viele Passagen waren durchgestrichen oder mit Tintenflecken bedeckt. Das Einzige, das einigermaßen erkenntlich war, waren folgende Zeilen:

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Bis jetzt waren keine Sterne am Himmel zu sehen.

Lange habe ich nicht mehr so gerätselt.

Ungewöhnlich, diese triste Tundra.

Morgen wird es hoffentlich wärmer.

E̶i̶̶g̶̶e̶̶n̶̶t̶̶l̶̶i̶̶c̶̶h̶̶ ̶̶s̶̶c̶̶h̶̶m̶̶e̶̶c̶̶k̶̶e̶̶n̶̶ ̶̶d̶̶r̶̶a̶̶m̶̶a̶̶n̶̶j̶̶a̶̶ ̶̶w̶̶i̶̶r̶̶k̶̶l̶̶i̶̶c̶̶h̶̶ ̶̶g̶̶r̶̶ä̶̶s̶̶s̶̶l̶̶i̶̶c̶̶h̶̶.̶

Ein kühler Hauch, weht weiße Blüten durch die vom Vollmond erhellte Nacht.

Ist das Essen überall in Xidercis so grausig?

Nächstes mal bringe ich Saat aus Docordis mit.

Glaube versetzt Berge.

Allein sein ist eine schwere Bürde.

Noch werde ich den Einwohnern nicht helfen können.

G̶i̶̶b̶̶ ̶̶d̶̶i̶̶e̶̶ ̶̶h̶̶o̶̶f̶̶f̶̶n̶̶u̶̶n̶̶g̶̶ ̶̶n̶̶i̶̶c̶̶h̶̶t̶̶ ̶̶a̶̶u̶̶f̶̶.̶

Kann mich irgendjemand verstehen?

Es scheint als gäbe es keinen Ausweg

Lieber würde ich im Erdboden versinken.

Leider kann ich das nicht selbst tun.

Eine Blüte, die erste Blüte.

Rätsel beginnen immer am Anfang. <<

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„Rätsel beginnen immer am Anfang…“, wiederholte sie den letzten sichtbaren Satz laut, während sie das Blatt in ihren Händen hin und her wendete. „Na toll und was soll mir das jetzt sagen !?“ Verzweifelt las sie die Worte wieder und wieder, kramte auf dem Tisch nach anderen Hinweisen, doch die restlichen Blätter waren allesamt leer. „Bis jetzt waren keine Sterne am Himmel zu sehen. Ja, das ist genau unser Problem…wir sehen GAR KEINE MEHR. ARGH das kann doch kein Zufall sein?!“ Und wieso waren Teile der Sätze zwar durchgestrichen, aber lesbar? Nahita raufte sich die Haare. Sie schien dem nächsten Schritt so nah und doch fühlte sie sich völlig nutzlos. „Rätsel beginnen immer am Anfang, hm?“ „Kairos?!“ Die Plastik Doll war so in Gedanken versunken gewesen, dass sie gar nicht bemerkt hatte, dass er hinter ihr erschienen war. „Mein Bruder hatte schon immer einen Hang zum Dramatischen.“, seufzte er eben so ratlos. „Klar beginnen Rätsel am Anfang, wo auch so-“, „Warte!“ Blitzartig schoss ihr eine Idee in den Kopf. „Der Hinweis zum Rätsel steht am Ende, aber eigentlich soll es am Anfang beginnen?“ Kairos blickte ratlos in die funkelnden Augen seiner Gefährtin. „Und das heißt?“ Energisch musterte sie das Pergament noch einmal. „Das heißt“, setzte sie euphorisch an, „wenn ich nur die Anfangsbuchstaben der Sätze beachte, dann steht da: >Blume Eingang Keller. BLUME, EINGANG, KELLER!“, hallte es durch die höhen, steinernen Wände. Der Spirit blinzelte unsicher. Er war gerade erst dazu gestoßen und irgendwie wirkte die Behauptung doch sehr vage, doch er würde diese neue, vermeintliche Erkenntnis nicht in Frage stellen. Stattdessen trat er reflexartig einen Meter nach hinten, als Nahita ruckartig von ihrem Stuhl aufsprang. „Das Blumenmuster! Hier das eingestickte. Sieh nach, ob du es auf irgendeinem Stein, einer Vase, einem Schalter oder irgendetwas anderem entdeckst.“ Perplex starrte er auf die eingestickte Stoffblume, nachdem Nahita ihm die Schrift in die Hand gedrückt hatte und tat einfach was sie sagte, wenngleich es im Dunkeln bei dem dämmrigen Licht der kleinen Flammen sicher nicht einfach sein würde genau dieses Muster inmitten all der Verzierungen zu entdecken. Doch Nahita hatte keinen Zweifel.

Sie würde den Eingang zum Keller finden, koste es was es wolle !

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„Es muss doch hier irgendwo sein…“, hallten erschöpfte Worte durch den großen Flur des steinernen Tempels. Nahita sackte an die Wand gelehnt langsam nach unten auf den kalten Boden. „In der Küche war auch nichts zu finden?“ Der Spirit trat vom Essbereich zu ihr in den großen, langen Gang, nachdem auch er jeden Quadratzentimeter des Raumes nach dem kryptischen Blumensymbol abgesucht hatte. Sie schüttelte stumm den Kopf.

Das sanfte, Pfirsich farbene Licht der Morgensonne, das langsam durch die großen Fenster ins Innere des Tempels schlich, erinnerte die beiden Dolls daran wie viele Stunden sie bereits vergeblich mit der Suche nach dem Symbol verbracht hatten. Was wenn sie doch nur eine Spielerei Fionels gewesen und der vermeintliche Hinweis reiner Zufall war? Nein. Die zarten Plastifinger in ihr weißes Haar vergraben, versuchte Nahita mit aller Macht die negativen Gedanken hinaus zu quetschen.

„Nein, es MUSS hier irgendwo sein!“

Die Hände auf den kalten Sandsteinboden gepresst, wollte sich die Plastikdoll gerade nach oben drücken, als ein leises „Klack“ und ein eigenartiges Gefühl unter der rechten Hand sie plötzlich inne halten ließ. Ein Blick nach unten bestätigte ihr Gefühl. Ihre Hand war einige Zentimeter in den Boden gesunken, zusammen mit einer der steinernen Fliesen. Ungläubig hob sie langsam ihre Finger nach oben, als sie darunter ein nur schwer erkennbares, eingekratztes Muster entdeckte.

„Ich…ich hab‘ es gefunden.“

Doch noch bevor sie die kaum sichtbare Verzierung weiter inspizieren konnte, wurden die Dolls von einem Erdbeben haften Rütteln hoch geschreckt. Ein lautes Gröllen fuhr durch das alte Mauerwerk und eine Wolke aus Staub und Sand durchzog den langen Flur. „Nahita, alles in Ordnung?!“ Mit zugekniffenen Augen hatte sich Kairos so schnell es ging einen Weg dorthin gebahnt, wo er Nahita zuvor noch erspäht hatte. „Ja, alles gut.“, antwortete sie mehr hustend als klar, den Hals völlig verkratzt von den vielen kleinen Sandkörnern, die noch immer wild durch die Luft wirbelten. Der Spirit legte seine Arme schützend um die Einhorn Dame und drückte ihren Kopf an seinen Torso, um sie vor Schlimmeren zu bewahren, doch Nahita schob ihn sachte von sich und richtete sich vor Kairos auf, nachdem das heftige Beben etwas nachgelassen hatte. Zügig suchte sie in ihrer Tasche nach den paar Pearl, die sie immer bei sich trug, hob die Hand vor Perlen so nah an ihr Gesicht, dass sie die Windpearl dazwischen ausfindig machen konnte und legte die übrigen Pearl vorerst in ihrer linken Hand ab. „Bleib kurz hinter mir!“ Ein leises Knallen ertönte und nur wenige Sekunden später wirbelten die Staubböen weg von den beiden Dolls, hinaus durch die offenen Fenster. Die kleine Plastikdoll hatte Mühe standhaft zu bleiben und die kleine Perle in ihrer Hand festzuhalten, doch einige Sekunden später war der Spuk vorbei und der restliche Staub legte sich langsam, aber sicher auf den steinernen Boden. Nur noch ein kaum sichtbarer Schleier lag in der Luft und mit einem Mal starrten Nahita und ihr Begleiter auf einen dunklen Durchgang am Ende des Flures.

Sie husteten die letzten Partikel aus, als auch schon einige der Leder Doll in den Tempel hineinstürmten. „Ist alles ok bei euch?!“, drang die besorgte stimme des Gruppenanführers von hinten durch den Staubschleier, doch Nahita hatte keine Zeit zu antworten. Während Kairos ihm kurz versicherte, dass die Beiden unversehrt waren, stürmte die Plastik Doll zu dem Eingang im Boden. „Aber natürlich…deshalb die große Pyramide unter dem Tempel.“, sprach sie mehr zu sich selbst als dem Spirit, der direkt zu ihr aufgeschlossen hatte. Er blickte skeptisch auf die sichtbaren Treppenstufen, die hinunter ins Dunkle führten. Gerade als Nahita den ersten Schritt voran setzen wollte, zog Remus sie ruckartig zurück. „Ich gehe vor.“ Sie schluckte kurz. An die tiefe, bestimmende Stimme des Gruppenanführers würde sie sich wohl nie gewöhnen. Ihr zustimmendes Nicken nahm er schon gar nicht mehr wahr und gab stattdessen der Feuer Magierin ein Zeichen, damit diese den dunklen Treppenabgang mit ihren kleinen Flammen erleuchtete.

Hintereinander weg stiegen sie langsam und sehr achtsam, die unzähligen Treppenstufen hinab. Einige von ihnen waren deutlich in die Jahre gekommen und bröckelten bei der kleinsten Bewegung, was den Abstieg umso gefährlicher machte. Die Dolls stützten sich so gut sie konnten gegen die Wände des engen Treppenangangs und nach einer gefühlten Ewigkeit, erreichten sie endlich ihr Ende. Nahita stieg von dem letzten Absatz hinab und blickte hinauf in eine Vorkammer mit Meter hohen Wänden. „Hier scheint seit Jahrzehnten niemand mehr gewesen zu sein.“, merkte Rumus an, der den Raum genaustens mit seinen scharfen Blicken abtastete. Die kleinen Flammen der Magierin erfüllten nach und nach den Raum und mehr Details kamen zum Vorschein. Nahitas Augen blieben an einem eingeritzten Muster an der Wand vor ihr hängen, die dicht mit Pflanzenranken bewachsen war. Vorsichtig schob sie einige der Ranken bei Seite und deckte damit ein Muster auf, das ihr nur zu bekannt vorkam. „Kairos, hier ist wieder das Blumensymbol eingraviert.“ Andächtig glitten ihre Finger über die groben Vertiefungen im Sandgestein, als ihr an einer Stelle eine Variation zum bekannten Muster auffiel. Statt der nicht identifizierbaren Schriftzeichen in der Mitte, waren vier kleine, Kreis runde Vertiefungen dort eingelassen, umgeben von vier Elementsymbolen.

Ohne groß darüber nachzudenken, griff Nahita erneut in ihre Hosentasche und platzierte jeweils passend zum Element eine der kleinen Perlen in den Vertiefungen. Die Pearl leuchteten auf und ein Klacken hallte durch den Raum. „Nahita, komm zurück.“, bat Kairos, unsicher was sie damit nun schon wieder heraufbeschwören würde, doch die Plastik Doll blieb wie hypnotisiert stehen. Nach und nach strömte ein weißes Licht durch die Verzierungen der Wand, immer mehr Geräusche paarten sich zu dem anfänglichen Klacken und mit einem Mal trennte sich die Wand mittig und öffnete noch einen Durchgang. Die Lederdolls gingen in Verteidigungsposition, doch hinter der steinernen Wand erwarteten sie keine Gegner, sondern ein nahezu liebevoll eingerichteter Wohnbereich.

„Was zum...wer würde hier unten leben?“, fragte der Spirit in das so deplatziert wirkende Wohnzimmer hinein, doch eine Antwort blieb aus. Nahita blieb wie angewurzelt stehen. Das war wirklich nicht was sie erwartet hatte. Vielleicht eine geheime Bibliothek, eine Art Safe mit geheimer Botschaft, aber ein Wohnzimmer? Perplex musterte sie den Wohnraum. Die eingetopften Zimmerpflanzen hatten die letzte Zeit anscheinend kein Wasser gesehen, sie waren komplett vergilbt und trocken, der Teppich völlig eingestaubt und dreckig. An der Wand befanden sich einige Bücher – den Titeln zu folge vor allem verschiedenste Romane, deren Titel Nahita aus Docordis noch etwas sagten. Hatte Nalar sie hierhergebracht? Schritt für Schritt erkundete sie den Raum. Auf dem Tisch stand ein fein verziertes Service, das anscheinend schon länger nicht benutzt wurde und es scheint als hätte – wer auch immer hier gelebt hat – gerne gestrickt. Die Strickwerke hingen im ganzen Raum verteilt, als Vorhänge, Tischdecken oder einfach so als Kunstwerke und am Ende des Sofas, stand ein geflochtener Korb mit Wolle und einer nicht fertigen Strickarbeit. „Wer auch immer hier gelebt hat, hatte wohl viel Zeit zum Stricken.“, bemerkte Nahita verwundert und wendete sich dem Spirit zu, an den ihre Worte eigentlich gerichtet waren, also eigentlich. Denn Kairos war auf einmal nicht mehr zu sehen.

„Oder der immer noch hier lebt.“, antwortete es ihr prompt aus einem kleinen Nebenraum. Nahitas Ohren zuckten, als wären sie nicht sicher, ob sie das gerade tatsächlich gehört hatten. Eilig folgte sie seiner Stimme in eben jenen Raum und erstarrte prompt beim Anblick der Steindoll auf dem Bett vor sich.

Die Doll lag regungslos auf dem weichen Federnbett mit den aufwändigen Holzverzierungen, bewegte sich keinen Millimeter und bei einem weiteren, genauen Blick war auch klar wieso. „Die Runensteine…sie fehlen.“ Kairos nickte zustimmend. Unzählige Fragen schossen durch Nahitas Kopf. Wer war diese Steindoll? Wie kam sie vor ihnen nach Xidercis? Wieso lebte sie hier unten eingesperrt? Und WO waren die drei Runensteine, die die Doll zum Leben erwecken würden ?

Ungläubig musterte Nahita die schlafende Steindoll. Sein langes, braunes Haar verdeckte die obere Hälfte des Gesichts und an den felligen Mammutohren hingen große Ohrringe hinab, die an Fangzähne erinnerten. Sein blauer, eckiger Gem hatte jegliches Leuchten verloren, um ihn herum die leeren Furchen, in denen einst Runensteine seinen Körper mit Leben füllten. Seine Kleidung wirkte wie die einiger Lederdolls, recht einfach und selbst zusammengebastelt, dafür wenig Bewegungseinschränkend. Auf seinem rechten Bein erkannte man nur kaum sichtbar die Runen „Frost“.

Sie runzelte die Stirn beim Gedanken an einen strickenden, gestandenen Steindoll wie ihm, doch wer wusste schon wie lange Zeit er hier unten schon eingesperrt war. Um ihn herum hatten sich einige Pflanzen geschlungen und eine dicke Staubschicht bedeckte das marmorierte Gestein. Vorsichtig ging die Plastikdame näher, entfernte vorsichtig einige der Pflanzenranken und legte damit den Blick auf seine geschlossene Faust frei.

„Kairos…“. Der Spirit folgte mit seinen Augen den Bewegungen Nahitas und erblickte bei genauem Hinsehen drei unscheinbare kleine Steine zwischen den starren Fingern des Unbekannten durch Blitzen. Behutsam öffnete er die Finger und bestätigte, was die beiden Doll bereits vermuteten: „Das sind seine Runensteine. Er hat sie sich selbst entfernt?“ Ihr Blick wanderte von den drei kleinen Runensteinen wieder hinüber zu dem Schlafenden. „Wir werden es gleich herausfinden!“ Ohne zu zögern schnappte sie sich die Steine aus Kairos Hand und noch bevor der Spirit seine Bedenken auch nur im Ansatz äußern konnte, hatte sie die Runensteine auch schon an den entsprechenden Stellen um den blauen Gem herum platziert.

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In dem Moment als der letzte Stein seinen ursprünglichen Platz eingenommen hatte, begannen die Runen in einem hellen, blauen Licht zu erstrahlen und nur einen Augenblick später füllte sich auch sein Gem mit Licht. Die blauen Strahlen hüllten die kleine Schlafkammer in ein kaltes Licht und ein tiefes Einatmen hallte durch die steinernen Wände. Nahita und Kairos hatten sich reflexartig einige Schritte vom Bett entfernt und beobachteten fasziniert, wie allmählich wieder Leben in die gerade noch leblose Doll kroch. Seine Finger zuckten und ein tiefes Grummeln vibrierte aus den Tiefen aus seiner Kehle nach draußen. Langsam, fast in Zeitlupe richtete der Unbekannte seinen Oberkörper auf und schob stumm einige seiner Haarsträhnen aus der Stirn. Eis blaue Augen musterten skeptisch die beiden Fremden, die noch immer wie erstarrt vor dem Bett des Stein Doll standen. „Hmpf.“

Nahita zuckte zusammen bei dem eigenartigen Laut, den der Fremde erneut von sich gab und Kairos ergriff beim Anblick der eingeschüchterten Plastik Doll nun zwangsweise das Wort:

„Hallo Herr…ähm…Herr Steindoll. Mir fehlen ein wenig die Worte, angesichts dieser, doch etwas unangenehmen Situation und ich möchte mich schon jetzt entschuldigen, falls meine Vorstellung nicht angemessen ausfällt, aber wir-“. „Ljuba.“, unterbrach die tiefe Stimme der Steindoll, Kairos elendig lang wirkende Vorstellung. „Ich bin Ljuba. Und dass ihr hier seid und mich weckt, bedeutet wohl nichts Gutes.“ Er seufzte tief. „Gebt mir einen Moment.“

Kairos und Nahita kamen seiner Bitte unverzüglich nach und warteten im kleinen Wohnzimmer. Sie hatten den Staub vom Polster geklopft, die meisten der Lederdolls vorerst nach draußen gebeten und warteten nun angespannt auf den Doll, der sich als Ljuba vorgestellt hatte. Der Einhorndame fiel es schwer all die Fragen zurückzuhalten, die ihr auf dem Gem lagen, doch sie versuchte ihn nicht gleich zu überfallen. Wenige Minuten später stapfte er schweren Schrittes auch schon zu seinen ungewollten Gästen hinein. Offensichtlich hatte er sich zumindest grob von den Pflanzen und dem Staub befreit, die es sich über die Zeit auf ihm gemütlich gemacht hatten. Doch anstatt sich zu den Beiden zu setzen, ging er hinüber in die Küche, wo er die Klappe eines Fallrohrs öffnete, aus dem etwas Wasser in eine Kanne plätscherte. Stumm beobachten die Beiden mit langen Hälsen das Geschehen in der Küche. Der Steindoll säuberte mit langsamen Bewegungen drei Tassen und eine Kanne, setzte einen Topf auf, entfachte Feuer und wartete bis das Wasser lange genug gekocht hatte, um Tee aufzusetzen aus kleinen Kräutern, die an einer Ablage der Küche auch nach all die Zeit überlebt hatten. Nach einer gefühlten Ewigkeit gesellte er sich dann mit drei Tassen, wohlig duftenden Kräutertees, zu den wartenden Dolls.

„Ich bin nicht viel Besuch gewohnt. Mehr als das kann ich nicht anbieten.“ Er ließ sich vorsichtig auf den Sessel nieder, stellte die Tassen auf dem Tisch ab und wandete sich an die beiden Fremden, die einfach so in sein Heim eingedrungen waren. „Und ihr seid?“

„Ich bin Nahitas und das ist Kairos.“ Nachdem sie den ersten Schock überwunden hatte, hatte die Plastikdoll nun endlich ihre Stimme wieder gefunden. „Entschuldige, wir…ich bin den Hinweisen von Nalar gefolgt und-“ „Nalar?“ Sie hätte wetten können, dass sich der Blick des Mammuts für einen Moment verfinsterte, was auf Grund des braunen Haares, das jegliche Sicht verdeckte, nicht wirklich nachweisbar war. Trotzdem spürte sie eine bedrückende Energie, die von dem Steindoll ausging. Sie schluckte schwer und griff etwas unbeholfen nach einer der Tassen Tee.

„J-ja“, setzte sie nach der Unterbrechung erneut an, „wir müssen einen Weg finden, den Lebensbaum zu retten und alle Hinweise, die uns geblieben sind, führten uns hier her. Zu dir.“

Er verzog keine Miene. Stattdessen nippte er an dem heißen Tee.

„Also…kennst du Nalar?“ Er stellte die Tasse langsam wieder ab. „Ob ich ihn kenne? Dank ihm bin ich hier unten eingesperrt. Vermutlich seit Jahrhunderten. Die Bewohner dieses Tempels haben mich die ersten Jahrzehnte noch versorgt und von Zeit zu Zeit besucht, doch irgendwann waren sie fluchtartig verschwunden und ich hatte keine andere Wahl, als hier unten zu bleiben.“ Er atmete kurz durch, ehe er weitersprach: „Aber es hatte einen guten Grund weshalb ich hier verborgen bleiben musste. Im Schutz der Barriere, die der Wanderer um dieses Versteck errichtet hatte. Ich habe es gleich gespürt. Die Sternennarbe, der Ort, den ich für die Seelen aller Dolls geschaffen habe, sie ist verschwunden, nicht wahr?“

Nahita stockte der Atem. Beinahe hätte sie den heißen Tee über ihrem Schoß verschüttet. „DU hast die Sternennarbe erschaffen?“, platze es dieses Mal aus Kairos heraus. Ljuba nickte stumm. „Und ich bin der Einzige, der sie noch einmal wieder bringen kann.“ Durch einen kleinen Spalt seiner Haare starrte er auf Nahitas Gem. Er hatte die Aura des Wanderers sofort wahrgenommen, als er sie angesehen hatte. „Aber ich kann es nicht allein und es wird auch nicht ausreichen, um das Chaos zu beseitigen, das durch ihr Verschwinden nun auf der Welt herrscht.“ Nahita beugte sich etwas nach vorne. „Das…das heißt. Du kannst sie tatsächlich zurückbringen?“ In ihr stieg ein Gefühl der Euphorie auf, wie sie es seit Monaten nicht mehr verspürt hatte. Ihre Glieder kribbelten vor Aufregung und ihr Gem pochte unaufhörlich und laut. „Das ist der Grund, weshalb ich mich hier unten verstecken musste. Nalar wusste, dass SIE mich sonst suchen und töten würden. Ich war der letzte Steindoll, der erschaffen wurde und vermutlich der Einzige, der nach der Schöpfung nicht in einen tiefen Schlaf fiel. Denn als das Leben in die Welt gelassen wurde, folgten dem Licht des Lebens die Schatten. Jene die sich an die reinen Seelen der Dolls hefteten – noch bevor sie in die Sternennarbe wanderten - und sich von ihrer Energie zehrten. Wir haben so viel versucht, soviel geforscht, doch mehr als die Bändigung eines Schattens, war für eine Steindoll nicht möglich und das reichte einfach nicht aus. Der Todesgott – oder der Wandere, wie ihn die meisten nennen – kam immer wieder zu mir. Wir haben wirklich alles versucht, um einen Weg zu finden, doch all unsere Versuche scheiterten. Und dann kam er einfach nicht wieder. Ließ mich hier zurück. Ich habe die Stille irgendwann nicht mehr ertragen und mich Schlafen gelegt. Zumindest bis zum heutigen Tag.“

Der Spirit und die Plastikdoll hingen an Ljubas Lippen, um auch nicht ein Detail zu verpassen. Er hatte also die Sternennarbe geschaffen als Heim für all die körperlosen Seelen, bis diese in eine neue Doll hinein geboren wurden und hatte zusammen mit Nalar nach einem Weg gesucht, die Schatten zu besiegen. Das alles musste geschehen sein, lange bevor er sein Gedächtnis verloren hatte. Was auch erklärte, weshalb er irgendwann nicht mehr zu dem Steindoll zurückkehrte. Er hatte ihn schlicht vergessen.

Für einen Moment herrschte eine bedrückende Stille. Ljuba griff erneut vorsichtig nach der Tasse Tee. Das viele Reden war anstrengend und die verbliebenen Staubkörner der letzten Jahre, hatten sich hartnäckig in seiner Kehle verfestigt. „Danke…für dein Vertrauen.“, unterbrach die zarte Stimme Nahitas, die Stille. „Ich weiß es steht uns nicht zu. Du hast auf so vieles verzichtet, soviel Zeit in Einsamkeit verbracht, aber: Kannst du uns helfen, die Sternennarbe zurückzubringen?“

Angespannt starrten sie auf den Steindoll, der einen letzten Schluck des warmen Kräutertees seine Kehle hinunterspülte, bevor sich seine Mundwinkel zum ersten Mal seit seinem Erwachen zu einem Lächeln verzogen. „Ich würde alles tun, um aus diesem steinernen Verließ rauszukommen. Und was wäre ich für ein Steindoll, wenn ich nicht alles tun würde, um meine Schöpfung – nein die Schöpfung aller Steindoll – zu bewahren?“

Nahita strahlte über beide Ohren hinweg und konnte nur mit Mühe die Tränen der Erleichterung unterdrücken, die sich in ihre Augen drängten. „Danke… Ljuba.“

„Und wie genau stellen wir das an?“, hakte Kairos doch noch etwas skeptisch, ob der aufkommenden Euphorie, nach. Das Mammut stellte sich auf. „Zu dritt schaffen wir das auf keinen Fall. Bringt mich hinaus, damit ich mir ein genaues Bild der Situation machen kann. Dann werden wir jede Hilfe brauchen, die wir kriegen können, um die umherirrenden Seelen einzufangen, bevor ich die Sternennarbe noch einmal erschaffe.“

Der Spirit blieb misstrauisch, doch Nahita sprang voller Tatendrang vom staubigen Sofa auf. „Dann nicht wie los! Die Details können wir unterwegs noch besprechen. Auf nach Docordis!“

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Eine Woche war schnell vergangen. Während Nahita und ihre Gefährten zurück zum Freomýr Stamm reisten, hatte sie jede freie Minute damit verbracht Ljuba detailliert von den Geschehnissen in Docordis zu berichten. Von den sieben Todsünden, Nalars tragischem Tod, dem Sterben des Lebensbaumes und all den Folgen, die diese Ereignisse für Docordis hatten. Auch von den Pfingstrosen und den verschwundenen Barrieren um die Seen der Spirit-Dolls. Und wenn sie gerade mal nichts zu erzählen hatte, löcherte sie das Mammut mit allen Fragen, die ihr noch im Kopf herum spukten. Zwischenzeitlich war sie kurz der Überzeugung, er hätte sich fast in sein Steingefängnis zurückgewünscht, doch nun da sie ihn gefunden hatten, gab es für die Plastik Doll kein Halten mehr.„Endlich, das muss das Portal sein.“ Nahita hob die Hand schützend vor ihre Augen. Sie waren die letzten Stunden durch die dämmrigen Straßen der Freomýr Hauptstadt gewandert und der helle Schein des Portals blendete sie für einen kurzen Moment. „Vielen Dank Remus. Danke an euch alle. Fenja hat uns nicht zu viel versprochen, als sie garantierte, dass ihr uns sicher geleiten werdet. Ohne euch wäre ich sicher nicht in einem Stück nach Docordis zurückgekommen.“ Der Lederdoll nickte kaum lächelnd, bis er plötzlich von zierlichen Plastik-Armen umschlungen wurde. Remus wankte nach seinem Gleichgewicht, räusperte sich verlegen und brachte die kleine Doll vorsichtig wieder auf eine angenehmere Distanz. „Das war doch keine Herausforderung für uns. Habt eine sichere Weiterreise. Mögen die Seelen der Anführer mit euch sein. Und vergesst nicht das Opfer, das ihr bringen müsst, um hindurchzuschreiten. Naesta lif.“

Unauffällig wischte sie sich mit dem Saum ihres Ärmels eine Träne aus dem Gesicht, blickte noch einmal in die Gesichter der tapferen Leder-Krieger und verabschiedete sich mit einem Nicken und einem optimistischen Lächeln auf dem Gesicht, bevor sie als Erste ihr Opfer darbrachte und durch das Portal wanderte. Kairos musste den misstrauischen Ljuba etwas antreiben ihr zu folgen, doch schließlich schritten auch die Beiden nach ihrer Opfergabe hindurch.

Eine unbekannte Wärme umgab die Dolls und für einen Moment raubte es ihnen in der Schwerelosigkeit den Atem, während ihr ganzer Körper zu Kribbeln begann. Das gleißende Licht ließ keinen Blick auf das Innere des Portals zu, bis sie schon wenige Sekunden später plötzlich wieder weiche Erde unter ihren Füßen spürten. Ein kalter Luftzug wehte die weißen Haare der Plastik-Doll nach hinten und als sie vorsichtig die Augen öffnete, blickte sie auf ihre bekannten Bäume. „Docordis…“ Die Tränen, die sie noch vor wenigen Momenten getrocknet hatte, flossen mit einem Mal auf ihren Wangen um die Wette nach unten. Mit verschwommenem Blick musterte sie die umliegenden Hütten. Die Leder Dolls des Freomýr Clans hatten inzwischen ein kleines Dorf um das Portal herum erbaut. Die Architektur und der rustikale Charme waren unverkennbar. Remus hatte ihnen von den vielen Versuchen berichtet, die die Leder Magier ohne Erfolg an der Erschaffung des Portals gesessen hatten, bis die Sterne am Himmel erloschen waren und die Magie mit einem Mal Wirkung zeigte. Jahrhunderte nach Nalars Besuch in Xidercis, hatte sie es tatsächlich geschafft dieses Tor zwischen den zwei Kontinenten zu erschaffen.

„Na hätten wir das gewusst, hätte wir uns die turbulente Seefahrt damals sparen können.“, brummte Kairos bemüht lustig während Ljuba noch mit einem flauen Magen zu kämpfen hatte. „Hauptsache wir sind wieder hier. Zu Hause.“ Entgegnete Nahita lächelnd, während sie ihren Mantel zurechtrückte. Sie grüßte die Wachen mit ihrem heimischen Gruß: „Ao velkomin.“ und schritt, ohne eine weitere Sekunde zu zögern voran. „Na komm, die Kleine wird jetzt keine Pausen mehr machen.“, motivierte der Spirit den portalkranken Stein Doll, der sich in dem Moment tatsächlich kurz die Ruhe und Einsamkeit seines Gefängnisses zurückwünschte, bevor er langsamen und schweren Schrittes folgte.

Es dauerte eine ganze Weile, bis Ljuba den Ortswechsel einigermaßen verdaut hatte. Just in der Sekunde, in der er seinen Fuß auf Docordis Boden setzte, spürte er die dunkle Energie der Schatten, die langsam in ihn hineinkrabbelten und sich an seiner magischen Lebenskraft labten. Umso dankbarer war er für die Kutsche, die Nahita organisiert hatte und in der sie mittlerweile zu Dritt Platz genommen hatten. Dunkelheit legte sich über die weiten Ebenen, deren Gras schon lange nicht mehr so grün war wie früher und die Nacht wirkte um einiges bedrohlicher ohne ihre leuchtenden Sterne am Himmel. „Es ist tatsächlich noch schlimmer, als ich befürchtet hatte.“, durchbrach die tiefe Stimme Ljubas die Stille im Inneren des kleinen Wagens. Nahitas Ohren zuckten unruhig. Auch sie hatte diese seltsame Aura wahrgenommen, ein eigenartiges Gefühl, das sie kaum beschreiben konnte. Es war als würde eine unheimliche Kälte durch ihren Körper krabbeln, die langsam ihr Blut gefrieren ließ, während es ihre Glieder immer schwerer und unbeweglicher machte. Bibbernd rieb sie sich mit beiden Händen die Oberarme, um dieses eklige Gefühl zumindest ein wenig abzuschwächen.

„Elayne hat definitiv nicht übertrieben in ihren Berichten.“, erwiderte sie leicht bedrückt, während sie draußen auf die kahlen Bäume blickte, die an ihnen vorbeizogen. „Aber ich habe die letzten Tage in meinen Träumen gesehen, wie viele Seelen bereits sicher verwahrt wurden. Nicht nur die Steindolls, auch alle anderen Bewohner Docordis tragen ihren Teil dazu bei, uns zu helfen und mittlerweile beherrsche ich die Gedankenübertragung immer besser. Ich bin sicher wir können es schaffen!“ Ljuba schwieg. Zu gerne wollte er den Optimismus der Einhorn Dame teilen, doch auch er konnte nicht vorhersehen, ob alles nach Plan laufen würde. Er könnte zwar die Sternennarbe mit viel Mühe noch einmal erschaffen, doch die Sache mit dem Lebensbaum war weitaus schwieriger zu lösen. „Wenn der Lebensbaum tatsächlich schon so krank ist, wird es nicht reichen die Sternennarbe zurückzubringen.“ Die Worte des Mammuts wogen so schwer auf Nahitas Brust wie hundert Stein Dolls. „Und ohne einen gesunden Baum, wird es keine Möglichkeit geben für die Seelen, wieder auf unsere Welt zurückzukommen.“ Nahita rang verzweifelt nach Optimismus. „Aber…du bist hier und…alle geben ihr Bestes…wir…“. Ihre Worte verstummten in der erdrückenden Stimmung. Nicht einmal Kairos hatte einen dummen Spruch auf den Lippen, um die Situation aufzulockern. Stattdessen blieb es still in der Kutsche. Einzig das gedämpfte Tick-tack-tick-tack Geräusch der Pferdehufen auf dem Schnee unterbrach die Stille der Natur.

Nicht unlängst später forderten der lange Marsch zum Portal und die Strapazen der letzten Tage ihren Tribut. Leicht hin und her geschunkelt von den Unebenheiten der Straße, schliefen die drei Reisenden erschöpft auf dem weichen, wenn auch etwas durchgesessenen Polster ein.

// Nahita… //

Die schweren Augenlider öffneten sich nur langsam, als sie sich sogleich wieder reflexartig schlossen, als ein helles Licht ihnen in der Dunkelheit entgegen schwebte.

// Nahita, hörst du mich? //

Blinzelnd und nur widerwillig öffnete sie ihre Augen und blickte angestrengt auf die schwebende, hellblaue Gestalt vor sich. Ihr Körper fühlte sich schwer an, gar unfähig sich auch nur einen Millimeter zu rühren.

// Ich bin es…du musst mir zuhören. //

Mit einem Mal war die Plastik Doll wieder hellwach. Oder träumte sie doch? Diese Stimme. Ihr Gem begann aufgeregt zu pulsieren.

// Meine treuste Freundin. Du hast so viel gekämpft, soviel ertragen, gebangt und doch die Hoffnung niemals ganz verloren. Und nun sieh dich an. So weit gereist und so weit gekommen. Hättest du jemals gedacht, dass du eines Tages einen ganz neuen Kontinent erkunden und Magie ganz ohne Glaselement wirken würdest? Nahita, du warst wie eine Schwester für mich. Die einzige Doll zu meinen Lebzeiten, der ich mein Leben ohne zu Zögern anvertraut hätte und es tut mir leid, dass du gerade deshalb nun diejenige sein musst, die meine schwere Bürde weiterträgt. //

Das unförmige, helle Licht bewegte sich auf ihre Wange zu und für einen Moment spürte sie deutlich die kleine, rissige Metallhand auf ihrem Plastik.

//Verliere nicht die Hoffnung. Es ist noch nicht zu spät. Gemeinsam könnt ihr diese Welt retten. Auf meiner Reise durch Xidercis habe ich alte Schriften meines Bruders Seniro - dem Gott der Geschichte – ausfindig machen können. Aufzeichnungen vom Anbeginn der Zeit. Sie enthielten Informationen über ein Ritual, das Einzige, das den Baum kurz vor seinem Tod noch retten kann. Solange noch ein Fünkchen Leben in ihm ist, werdet ihr ihn damit retten können. Aber du kannst es nicht allein tun und das musst du auch nicht. Weise ihnen nur den rechten Weg.

Und nun schlaf kleine Schwester. Schlaf weiter und wenn du am Morgen die Augen öffnest, wirst du wissen was zu tun ist.

Danke. Für alles…//

Kalte Lippen hauchten einen Kuss auf Nahitas Stirn und mit einem Mal überkam sie eine unvergleichliche Müdigkeit, die sie gegen ihren Willen zurück in den Schlaf riss.

Mit einem scharfen Sog strömte die Luft durch Nahitas Hals in ihren Brustkorb, als sie fast panisch die Augen aufriss. Für einen Moment orientierungslos blickte sie verwirrt in die Gesichter ihrer vermutlich ebenso erschrockenen Begleiter. Es war mittlerweile wieder hell und der besorgte Blick des Spirits klar erkennbar. „Ist alles in Ordnung? Hattest du einen Alptraum?“ Wie ein Blitz schossen zahllose Gedanken durch den Kopf der Plastik Doll. „Alptraum? Nein, nein ich glaube…also ich meine da war…ich bin mir sicher, dass…“ Kairos legte besorgt die Hand auf ihre Schulter, um die verwirrte Doll irgendwie zu beruhigen. „Alles ist gut, es war wohl einfach etwas viel die letzten Tage.“ Doch sie schüttelte vehement die weißen Haare von links nach rechts. „Nein wirklich, es war kein Alptraum. Ich habe Nalar gehört! Ich bin ganz sicher und er, er hat mir gesagt, wie wir den Lebensbaum retten können!“ Ihre Augen funkelten nur so vor Euphorie. Oder waren es die Tränen und das Morgenlicht?

Ljubas ungläubiger Blick schimmerte durch die dicken Haarsträhnen hindurch. Für einen Moment fragte er sich, ob sie nun völlig durchgedreht war, doch er entschied sich lieber still zu bleiben und weiter zu beobachte, während Kairos nicht so zurückhaltend blieb. „Meinst du das Ernst?“ Selbst für ihn klang das zu abstrus, um wahr zu sein. Andererseits war sein Bruder ein Abstrusum an sich gewesen und sie trug immerhin einen Splitter seines Gems in sich und nur ein tiefer Blick in ihre Augen zeigte, dass zumindest sie selbst nicht ein bisschen daran zweifelte. „Nun gut, dann weih uns mal ein!“

Mit schweren Schritten setzte Nahita einen Fuß vor den anderen, doch es war nicht die Steigung des Hügels, der ihr zu schaffen machte. Bereits kilometerweit hatte man aus der Ferne die grauen, morschen Äste des Lebensbaumes sehen können, die sich gen Himmel streckten und von einer dicken Wolkendecke eingehüllt wurden. Ein beklemmendes Gefühl breitete sich in ihrer Brust aus und das Atmen fiel ihr schwer. Die Gespräche der beiden Männer hinter sich drangen kaum zu ihr durch. Es fühlte sich an, als hätte sich eine dicke Watte in ihrem Kopf breit gemacht, die nichts von außen an sie heranließ. Stattdessen folgte ein Erinnerungsblitz dem anderen. Der Boden unter ihr war schwarz und noch immer zu großen Teilen mit Asche bedeckt. Leben suchte man hier vergeblich. Der letzte Schritt.

Wie in Trance blickte die Plastik Doll auf den kargen Schauplatz, auf dem sie ihn zum letzten Mal gesehen hatte. Der einstig prächtige See war von Asche und Glut durchzogen, die Wurzeln des Baumes schwarz und spröde. Diverse Spirit Dolls waren an den verschiedenen Ecken der Lichtung zu sehen. Sie hatten die ganzen Holzfiguren auf einem riesigen Altar gesammelt und versuchten ihr Möglichstes, einzelne Stellen des Baumes irgendwie am Leben zu erhalten. „Wenn du das mit ansehen müsstest Nalar…“ Andächtig legte sie ihre Hand auf seinen Splitter, noch immer völlig überrumpelt von den vielen Gefühlen und Erinnerungen, die sie mit jeder Minute mehr und mehr einholten.

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„Nahita? Bist du das?“ Nur schwach drang die helle Stimme durch den wattigen Wall, der sich auf ihr Gehör gelegt hatte. „Du bist es wirklich!“ Die Einhorn Dame schüttelte den Kopf, versuchte vehement den Druck auf ihren Ohren loszuwerden, als sie unmittelbar vor sich in zwei strahlend grüne Augen blickte, die sich bereits mit Tränen gefüllt hatten. Die Spirit zögerte keine Sekunde länger und fiel ihrer alten Freundin in die Arme. Nur zögerlich erwiderte Nahita die überschwängliche Umarmung Elaynes. „Ich habe dich kaum wiedererkannt! Wie lange haben wir uns jetzt nicht gesehen? Bei den Göttern, viel zu lange! Ich bin so froh, dich in einem Stück zu sehen. Was ich über Xidercis gehört habe, hat mir die ein oder andere schlaflose Nacht bereitet.“ Langsam löste sie sich wieder von Nahita, bemerkte jedoch, dass sie nicht komplett bei sich zu sein schien. Fürsorglich legte Elayne ihre warmen Hände um Nahitas Wangen. „Es ist schon gut…Ich weiß wie dir zumute ist.“

Im gleichen Moment hatten Kairos und Ljuba zu den Damen aufgeschlossen. Der Stein Doll war noch stiller als üblich. Es war nicht schwer zu erkennen, dass auch ihm der Anblick des sterbenden Lebensbaumes völlig die Sprache verschlagen hatte. Trotz all der Erzählungen und Berichte, war die Realität kaum zu ertragen. Nahita ballte ihre Hand zur Faust, versuchte die aufsteigende Panik einfach weg zu drücken, als Ljubas Hand sachte ihre Schulter berührte. „Wir haben einen Plan. Nalar hat ihn dir selbst offenbart. Es wird funktionieren. Wir werden den Baum retten.“ Mit jedem Wort war der Druck seiner Hand auf ihrer Schulter eindringlicher geworden. Nahita nickte. „Danke…“

In der nächsten Stunde verschaffte sich die Gruppe zunächst einen Überblick über die Lage. Sie führten Gespräche mit den Spirit Dolls, sichteten die geschnitzten Figuren und Ljuba traf erste Vorkehrungen, um so schnell wie möglich mit dem Ritual beginnen zu können. Um den einstigen See herum wurden Laternen mit Leuchtkäfern aufgestellt, während der Stein Doll unter den erschrockenen Blicken der Spirits direkt in die Mitte des Sees watete, der sich mittlerweile zu großen Teilen mit Lava gefüllt hatte. Allmählich hatte Nahita sich und ihre Sinne wieder einigermaßen unter Kontrolle, doch das bedrückende Gefühl auf ihrer Brust blieb bestehen. Skeptisch beäugte Elayne, die Nahita nicht von der Seite gewichen war, die Aktion des Stein Doll. „Und du bist ganz sicher, dass er weiß, was er tut?“ Die Einhorn Dame lächelte schief zurück. „Naja, er ist alles was wir haben. Was er erzählt hat, klang schon nach der Wahrheit und so oder so, haben wir nicht wirklich eine Alternative.“ „Ich bete zu den Göttern, dass der Plan funktioniert.“

Mittlerweile war es Nacht geworden und nahezu alle Blicke ruhten auf Ljuba. Dieser stand noch immer mittig im Lavakern vor dem Baum und begann mit Hilfe seiner Eismagie, die Glut um den Kern herum, mit einer dicken Eisschicht zu bedecken. Wasserdampf stieg nach oben und als er die ganze Fläche um ihn und die Lava herum eingefroren hatte, nahm er im Schneidersitz inmitten der zähen Feuermasse Platz. Nahita atmete tief durch. Das war das Zeichen gewesen. Das Ritual würde nun beginnen. Selbstsicher kletterte sie auf einen etwas höher gelegenen Stein, in der Hand eine der Leuchtkäferfackeln, damit sie auch jeder sehen konnte.

„Die Zeit ist nun gekommen!“, begann sie mit lauten Worten ihre Ansprache an die Spirits, die sich um den Lebensbaumversammelt hatten, sowie jedem Bewohner und jeder Bewohnerin in Docordis, die ihre Stimme erneut telepathisch übertragen bekamen.

„Viele schwere Monate liegen hinter uns. Einige von uns haben sich an die schwierigen Umstände angepasst, sich mit ihnen arrangiert und andere sind an ihnen zu Grunde gegangen. Viele von euch hatten die Hoffnung bereits verloren, haben den Kampf aufgegeben, doch damit ist es heute vorbei! Gemeinsam erschaffen wir unsere Welt neu. Gemeinsam lassen wir die Strahlen der Hoffnung erneut nach Docordis einkehren und gemeinsam werden wir das Leben, die Freude und all das Gute in der Welt zurückholen. Ihr alle habt bereits euren Teil dazu beigetragen. Ich habe die vielen wunderschönen Schnitzereien gesehen, die Nachrichten von den eingesammelten Seelen gehört und spüre den Kampfgeist eines jeden Einzelnen von euch in meinem Gem! Ljuba, der Erschaffer der Sternennarbe, wird den großen Nebel für all die Seelen neu erschaffen und mit euren Holzarbeiten werden wir dem Baum einen Teil seiner Kraft zurückgeben. Vielleicht wird es Stunden dauern, vielleicht Tage, doch ich bitte euch ein letztes Mal: steht uns bei. Betet zum Lebensbaum, betrachtet den Himmel! Und sobald ihr den ersten Stern am Firmament sehen könnt, lasst die Seelen aus ihren Gefäßen frei! Steht uns noch einmal bei, schickt uns eure Gebete, eure Kraft, eure Liebe, euren Lebenswillen. Verbringt die nächsten Stunden mit euren Liebsten und lasst uns alle gemeinsam den Lebensbaum zurückholen!“

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Schwerelosigkeit. Der erste Wimpernaufschlag und das erste was ihre Augen in ihrem Leben erblickten, war reines Licht. Ein solches, dass die jungen Augen eigentlich hätte blenden müssen, doch es war trotz seiner Helligkeit derart sanft und warm, dass es ihre zusammen gezogenen Pupillen lediglich behutsam umspielte. Langsam bewegte sie ihre ersten Glieder. Ihre Finger tanzten in der hellen Schwerelosigkeit und die langen weißen Strähnen schmiegten sich um ihren blassen Körper. Neugierig zuckten ihre großen, flauschigen Ohren, doch vernahmen sie nichts weiter als das beruhigende Plätschern des Wassers um sie herum und noch bevor sie überhaupt wusste, was genau Gefühle waren, schlich durch jede Faser ihres holzigen Körpers, eine nie da gewesene Geborgenheit. Als würde eine unbekannte Kraft sie mit all den guten Dingen auf der Welt füllen, die sie zu bieten hatte. Stärke, Mut, Selbstsicherheit, Tapferkeit, Barmherzigkeit, Freude, Glück, Liebe, all das und noch viel mehr floss von ihrem Gem in die äußerste Fellspitze ihrer Schweife. Und gerade als sie sich so friedlich und unbekümmert in diesem Kissen aus all den positiven Empfindungen dieser Welt wog, erblickte sie über sich ein kleines schwarzes Loch. Ein kühler Wind wehte zu ihr und legte sich um ihren Körper, wie eine unsichtbare Hand, die sie aus ihrem Kokon des Wohlbefindens hinausziehen wollte. Bevor sie wusste, wie ihr geschah, wurde das Loch immer größer und die Blüten der weißen Seerose, die sie noch zuvor eingehüllt hatten, öffneten sich, bis sie die Wasseroberfläche mit ihren Spitzen erreicht hatten. Irritiert blinzelten die strahlend blauen Augen in die Dunkelheit, versuchten sich an die dunkle Umgebung anzupassen.

Aus dem großen Schwarz wurden allmählich verschiedene Silhouetten. Einige helle, undefinierbare Punkte leuchteten nah und fern und einige Sekunden später, blickte sie in ein lächelndes Gesicht und wunderschöne smaragdfarbige Augen.

„Willkommen in Docordis. Ich bin Elayne und dein Name soll von heute an Ajuna sein.“ Zögerlich ergriff sie die Hand, die ihr von der Ziegendame entgegengehalten wurde und die ihr anschließend langsam aufhalf. Um sie herum ertönten plötzlich ungewöhnliche Laute. Klatschen, Pfeifen, jubelnde Stimmen. Ajuna – wie sie soeben getauft wurde – blickte mit dem unschuldigen Blick einer Neugeborenen um sich, doch konnte sie die vielen Eindrücke nicht einordnen. „Ist schon in Ordnung.“, versicherte die Ziegendame ihr, während sie ihren eigenen Umhang von ihren Schultern löste und ihn der Neugeborenen überwarf. Dutzende Augen ruhten auf ihr, doch Ajunas Aufmerksamkeit galt nur dem großen, traurigen, grauen Baum, der sich nicht unweit von ihr befand. Ohne Elaynes Worten weiter Gehör zu schenken, setzte sie zaghaft einen Fuß nach vorne. Ihre Beine waren noch etwas kraftlos, nahezu zittrig, doch alles in ihr zog sie zu diesem riesigen Baum. So setzte sie weiter einen Fuß vor den anderen, während sie alles andere um sich herum komplett ausblendete. Es dauerte einige Minuten, bis sie endlich seine kalte, raue Rinde erreicht hatte und sich kraftlos an ihn schmiegte. „Du armer, alter Baum.“ Sie schloss ihre Augen und legte sanft ihre weißen Finger auf die leblose Rinde. Mit einem Mal begann ihre weiße Haut zu leuchten und Runen erschienen an jener Stelle, die sie gerade zuvor berührt hatte.

Nahita beobachtete die Szene völlig überwältigt. Was genau war gerade eigentlich passiert? Drei Tage hatten sie schon am See ausgeharrt, hatten ihre Rituale durchgeführt und die Veränderungen des Sees mit großem Staunen und Zuversicht verfolgt. Das Eis war geschmolzen und Wasser aus der Erde nach oben gesickert. Nach dem ersten Tag hatten sie so ihren alten See zurück, in welchem sie anschließend – wie Nalar es Nahita aufgetragen hatte – die geschnitzten Holzstücke schwimmen ließen. Eine nach der Anderen, wurde von Seerosenranken nach unten gezogen und am Boden des Sees schimmerten in weiter Ferne, kleine helle Lichter.

Den zweiten Tag arbeitete der Steindoll unermüdlich an der Erschaffung einer neuen Sternennarbe. Um 00 Uhr färbte sich der schwarze Himmel blau und lila, Nahita gab ein Zeichen die Seelen freizulassen und die Sterne kehrten an ihren bekannten Ort zurück. Doch auch wenn sich die Natur allmählich zu erholen schien und die Seelen wieder zurückkehren konnten, war der Baum noch immer leblos und karg. Zumindest bis zu diesem Moment.

Dort wo die Erstgeborene aus dem neuen See die Rinde berührte, leuchteten Runenzeichen auf und einzelne Äste mit kleinen Blättern sprossen aus der toten Rinde. „Dort kommt noch eine weiße Seerose!“, hörte sie einen der Spirits vom Ufer jubeln. „Und noch eine! Schaut mal dort!“ Eine weiße Spirit nach der anderen entstieg den großen Seerosen und als wären sie nur für diesen Moment erschaffen worden, schritten sie alle zum Lebensbaum, schmiegten sich an dessen Rinde und ließen neue Sprosse wachsen. Dutzende von ihnen hatten sich um den Stamm versammelt und auch der große Riss, den Nalars Dolch verursacht hatte, füllte sich mit weißem Licht.

„Das ist… unglaublich.“, hauchte Nahita leise. Die versammelten Dolls verfolgten allesamt wie hypnotisiert, wie der Baum nach und nach an Leben gewann und auch die Bewohner Docordis, die nicht direkt vor Ort waren, konnten wenn sie ihre Augen schlossen, durch die Augen der Einhorn Doll, das Spektakel mit verfolgen. Ljuba ließ sich erschöpft neben Nahita in das grüne Gras sinken, das mittlerweile den grauen Ascheboden verdrängt hatte. „Wir… haben es wirklich geschafft?“, fragte sie ungläubig und schaute zu Kairos und dem Stein Doll. „Sieht ganz so aus.“, entgegnete Kairos mit einem süffisanten, breiten Lächeln auf den Lippen. „Wir haben es geschafft.“ Ihr Blick glitt den riesigen Baum hinauf bis in den mit Sternen besetzten, klaren Himmel und für einen kurzen Moment war sich Nahita fast sicher, die Silhouette Nalars erneut gesehen zu haben, sowie ein stolzes Lächeln in seinem schemenhaften Gesicht. Eine Träne rann über ihre Wange. Doch nach vielen Monaten waren es dieses Mal keine Tränen der Verzweiflung oder Hoffnungslosigkeit, sondern Tränen der Freude.

Auch wenn noch viele Rätsel auf die weiß haarige Plastik Doll warten würden und abzuwarten blieb, ob tatsächlich alles werden würde wie vorher, so war dieses Kapitel, zumindest für den Moment abgeschlossen. Nahita ließ sich zu Ljuba hinunter auf den Boden sinken. Überwältigt von alle den positiven Gefühlen, gönnte sie sich diesen einen Moment der Ruhe nach der langen Reise, ließ ihren Blick über den weiß leuchtenden See, hinüber zum Baum schwenken und löste sich für diesen einen Augenblick von allen Fragen und Zweifeln.

„Danke Nalar…“

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